Morgen werde ich zwei Wochen in Puerto Rico sein, einem Land, dass sich ganz erheblich von Deutschland unterscheidet. Ich nehme dies zum Anlass, einige Dinge zu kommentieren, die ich hier als nervig empfinde (schließlich müssen wir Deutschen immer schimpfen), und Dinge, die ich als besonders angenehm empfinde.
„When in Rome, do as the Romans do!“, sollte man eigentlich meinen. Nichtsdestotrotz ist eine Stufe kultureller Kompetenz jene, dass man sich über kulturelle Unterschiede bewusst ist. Meine Kategorisierung in „nervig“ und „cool“ ist hingegen wissentlich nicht besonders kompetent, was den Umgang mit verschiedenen Kulturen angeht. Da ich ansonsten jemand bin, der sich wunderbar in fremden Kulturen zurecht findet, ohne (in diesen Punkten) anzuecken, nehme ich mir dieses Einbringen von Wertungen einfach heraus!
Nervig:
- „Brotkultur“ – Nichts Neues in weiten Teilen der Welt, aber man vermisst das deutsche oder zumindest das europäische Brot doch recht rasch. Wenn man sich zwischen Toastbrot, Zwieback und Milchbrötchen entscheiden muss, ist das schon ein trauriger Moment.
- Käse – Es gibt Edamer! Super! Leider unbezahlbar. Bezahlbar ist hier zwar eigentlich gar kein Milchprodukt, aber das Angebot ist ansonsten auch nicht besonders gut. Immerhin gibt es hier nicht nur jenen Plastikfolien-Cheddar, mit dem man sich auch in Deutschland quälen kann, sondern vernünftigen, bissfesten Cheddar. Schmeckt, wird aber langweilig, da er der einzige Käse ist, der in der Liga „bezahlbar UND lecker“ spielt.
- Hunde. Ich liebe die meisten Hunde zwar (ausgenommen Schoßhunde), aber dass sämtliche Hunde hier ihre Nachbarschaft Tag und Nacht wach bellen ist einfach störend. Der Schrecken des Hundebisses hat mein Verhalten zudem auch stark verändert – ich begegne frei laufenden Hunden (auch nervig, die haben hier nämlich alle einen an der Klatsche) wesentlich vorsichtiger als jemals zuvor. Die freilaufenden Hunde sind allerdings in den meisten Teilen San Juans überhaupt kein Problem – und am Strand laufen nur diejenigen Hunde frei herum, die bestens sozialisiert sind.
- Toilettenpapier – Was versteht man denn hier unter „zweilagig“? Das ist ein Witz! Also stets falten und falten und falten und falten und… (You get the point!). Das Thema Preise hatte ich ja schon: Wie beim Käse gilt: Wer Heimatgefühle wecken will, muss tief ins Portemonnaie greifen.
- Lebenshaltungskosten – Passt überall – „umsonst ist nur der Tod“ (bzw. sollten dessen Kosten von einer Auslandskrankenkassenversicherung besser gedeckt sein – Klopf auf Holz!!)
- Fahrradfahren – Die Autofahrer sind es einfach nicht gewohnt, Radfahrer als Verkehrsteilnehmer zu sehen. Umgekehrt sind es Radfahrer hier nicht gewohnt, sich an Verkehrsregeln zu halten. Rote Ampeln leuchten bunt, mehr nicht. Fahrräder leuchten gar nicht. Richtig Schwachsinnig wird es hier an der Hochschule: Während Autos auf fast allen Straßen des Campus fahren dürfen, müssen Fahrräder am Eingang des Campus abgestellt werden und dürfen allenfalls über den Campus geschoben werden. Ich denke, hier werde ich politisch aktiv werden.
- Klimaanlagen – Sie lassen einen einfach ständig frieren. Nichts von wegen angenehmer Erfrischung als Abwechslung zum 28°-kalten Winter draußen. Es ist üblich, dass man sich einen Pullover zu Vorlesungen, Amtsgängen und Busfahrten mitbringt und frau sich mit (meist sehr hübschen) Tüchern zu wärmen weiß. Das Thema Klimaanlagen geht Hand in Hand mit dem folgenden Thema,…
- Nachhaltigkeit – Fehlanzeige! Sicherlich der einzige Themenkomplex, bei dem ich diese Kultur ernsthaft als falsch ansehe. Während der öffentliche Personennahverkehr der Hauptstadt doch recht gut ausgebaut ist, ist die Autofahrkultur an den USA angelehnt. Zwar fahren viele Menschen auch asiatische, moderat motorisierte PKW – die Krönung der Schöpfung bilden allerdings auch hier amerikanische Pick-Ups, deren Leistung zwar egal ist, die aber fett Hubraum haben müssen. Sehr schade, dass man dank VW sich jeden Beginn von Argumentationen hierzu sparen muss. Den Einsatz von Klimaanlagen kann ich generell verstehen. Zwar tut man der Umwelt nie einen Gefallen, wenn man Energie verbraucht, allerdings ist der Komfortgewinn durch kühlere Temperaturen merklich. Was ich nicht verstehe, ist, dass in einem bankrotten Staat öffentliche Einrichtungen auf 17° statt auf 21° gekühlt sein müssen oder das im Studentenwohnheim die Klimaanlage weder einstellbar noch ausschaltbar ist, sodass die Bewohner die Zimmertemperatur über die geöffneten Außenfenster wieder anheben müssen. Von Regelkreisen will hier keiner etwas wissen.
Dass das Fahrrad gesellschaftlich keinen hohen Rang hat, ist etwas, was man angesichts der hohen Temperaturen noch nachvollziehen kann. - Gringo sein – die Bevölkerung ist genetisch ein großer Mix. Dennoch bewegt sich die Hautfarbe im Großteil der Bevölkerung im historischen Rahmen zwischen eingeschifften afrikanischen Sklaven, häufig versklavten Ureinwohnern und iberischen Besatzern und „Eroberern“. Das, was man in Deutschland also mal als „exotisch“ bezeichnen konnte, ist hier die Regel. Exotisch sind hier Menschen wie ich, die eben mittel- oder nordeuropäisch aussehen. Da, wie ich es von Peru schon kannte, die meisten Menschen solchen Aussehens Nordamerikaner sind, wird man hier frei nach dem Motto „kennste einen – kennste Alle“ sowohl von Einheimischen als auch von Amerikanern als solcher eingeordnet, von beiden direkt auf Englisch bequatscht und von letzteren gar mit „Veteranen“-Argumenten („I served in Afghanistan“) in das eigene Restaurant gelockt. Was soll’s – man ist eben Gringo.
Cool:
- Das Wetter! – Na klar: ich liebe es einfach, wenn es ständig heiß ist. Die Liebe hat zwar natürlich seine Grenzen, aber ich lasse mir doch nicht von Ventilatorgeräuschen im Schlaf die Laune verderben!
- Der Strand – geht Hand in Hand mit dem tollen Wetter!
- Die Hilfsbereitschaft der Menschen. Es ist nicht nur so, dass die Menschen hier auf mediterrane Weise entspannt sind – sie sind dabei auch sehr offen und absolut hilfsbereit! Wir wurden zwar bereits davor gewarnt, dass ein „ja“ nicht unbedingt als „ja“ zu verstehen ist – dennoch sind die Hilfsangebote überwältigend. Dabei greift das nicht nur für die Hochschule, wo die Hilfsbereitschaft über die professionelle Pflicht weit hinausgeht, sondern auch im Alltag. Es scheint zwar so, dass man manche Tipps mit Vorsicht genießen muss, weil nicht Jeder eingestehen will, dass er etwas nicht weiß, aber die Erfolgsquote durch Empfehlungen ist sehr hoch!
- Englisch – Es trifft mich glücklicherweise weniger, aber für viele andere Ausländer ist es sehr angenehm, dass sich die zweite Amtssprache durchaus aufs Sprachvermögen der Bevölkerung niederschlägt. Während man in Spanien kaum Englisch spricht oder dieses meist unverständlich bleibt, kann man hier ohne schlechtes Gewissen seine Angelegenheiten auf Englisch angehen. Ich liebe es dennoch, fast Alles auf Spanisch zu machen.
- Spanisch – Einfach toll, es hier sprechen zu können. Die Menschen sind geduldig, Englisch hilft bei Vokabelproblemen und es ist auch für die „Anfänger“ recht einfach, sich da rein zu finden. Spannend sind die lokalen Eigenarten („Spanglish“).
- Much more…
Ambivalent:
- Essen ist stets teuer, als traditionelles Essen allerdings sehr lecker. In jedem Falle scheint es sich sehr schnell als eintönig heraus zu stellen. Vielfalt gibt es hier kaum in Beilagen, eher in den Hauptgerichten. Aber: Ich habe noch lange nicht alles durchprobiert!
- Straßenverkehr – Ja, sicher: es nervt, dass man hier als Fahrradfahrer ständig übersehen wird. Aber da steckt keine Agressivität hinter. Im Gegenteil! Für ein Lateinamerikanisches Land begegnen sich die Verkehrsteilnehmer mit einem wirklich auffallend hohem gegenseitigen Respekt! Wer als Fußgänger sich zwischen fahrenden Autos unauffällig durchzuschlängeln versucht, muss damit rechnen, dass die Leute sicherheitshalber allesamt stehen bleiben, obwohl es auch mit fahrenden Autos geklappt hätte. Dafür kann man Zebrastreifen komplett vergessen und sieht die grüne Fußgängerampel häufig von Autos versperrt, die lieber einige Yards nach dem Fußgängerübergang erst stehen bleiben. Falls Straßenverkehr eine Kulturdimension darstellen sollte, wäre Puerto Rico wirklich die Mischung vom chaotischen Lateinamerika und dem übervorsichtigen Nordamerika!